HiPIMS-Beschichtungen: Bahnbrechend und erfolgreich Autoren: Bastian Gaedike 1 und Rainer Gadow 2 1 Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn GmbH, Tübingen 2 Institut für Fertigungstechnologie keramischer Bauteile (IFKB), Universität Stuttgart

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Beschichten Von  Maxime Mader veröffentlicht am  22/04/2021
HiPIMS-Beschichtungen: Bahnbrechend und erfolgreich Autoren: Bastian Gaedike 1 und Rainer Gadow 2 1 Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn GmbH, Tübingen 2 Institut für Fertigungstechnologie keramischer Bauteile (IFKB), Universität Stuttgart
Horn-HiPIMS-Sorte EG35 für den Einsatz in der allgemeinen Stahlzerspanung. Quelle: Horn/Sauermann

Hartmetall-Zerspanungswerkzeuge für die zerspanende Bearbeitung (z. B. Fräsen oder Drehen) werden mit physical (PVD) oder chemical vapor deposition (CVD) beschichtet, um den hohen Anforderungen gerecht zu werden. Im PVD-Bereich haben über Jahrzehnte das Arc- und das DCMS-Verfahren (Direct Current Magnetron Sputtering) dominiert.

In den letzten Jahren rückte das PVD-Verfahren HiPIMS (High Power Impulse Magnetron Sputtering) immer mehr in den Fokus der Zerspanungsindustrie. Die Forschung ist hier schon deutlich weiter. Seit der Beobachtung der hohen Peak-Ströme durch hochfrequentes Pulsen durch Kouznetsov in 1999 publizierten Forscher mehrere hundert Veröffentlichungen zum Thema HiPIMS. Während für Forscher und Entwickler die Phänomene und technischen Details des HiPIMS-Prozesses hochinteressant sind, liegt für die Anwender und Hersteller von Zerspanungswerkzeugen der Fokus mehr beim Einsatz und der Performance der Schichten.
Die Anforderungskette lässt sich von der Grundlagenforschung bis hin zum Anwender der Zerspanungswerkzeuge spannen.
Für die Grundlagenforschung spielt das grundsätzliche Verstehen der Technologie eine tragende Rolle. Rund ein Dutzend Forschungsgruppen auf der Erde beschäftigen sich ausschließlich mit der HiPIMS-Technologie und versuchen, jede Einflussgröße der zahlreichen Parameter zu durchdringen. In vielen Veröffentlichungen werden hier Antworten auf Fragen gefunden, die sich Entwickler und Anwender aus der Industrie noch gar nicht gestellt haben. Über die Jahre wurden wichtige Erkenntnisse gewonnen. Greczynski zeigte, dass sich die ionisierten Atome des Kathodenpulses zeitabhängig in Wellen zum Substrat bewegen und ein gepulster und synchronisierter Bias die gewünschten Ionen gezielt abgreifen kann. Andre Anders entwarf ein Modell für Bewegung der Atome und den beim HiPIMS beobachteten Rücksputtereffekt. Gudmundsson half bei einer klaren Unterscheidung zwischen HiPIMS und definierte einen Zwischenbereich, den er MPP (Modulated Pulse Power) bezeichnete. Diese und unzählige weitere Veröffentlichungen halfen dabei, die HiPIMS-Technologie zu begreifen und besser nutzbar zu machen.
Daher ist eine ständige Sichtung des Stands der Technik unerlässlich. Für die Entwicklungsabteilungen in der Industrie liegt hier der Anknüpfungspunkt an die Grundlagenforschung: Aus den unzähligen Veröffentlichungen die passenden Erkenntnisse auf aktuelle Fragestellungen der Entwicklung anzuwenden. Während die Grundlagenforschung sich mit HiPIMS-Beschichtungen aus den unterschiedlichsten Werkstoffen beschäftigt, sind für die Entwickler in der Zerspanungsindustrie nur jene relevant, die eine verschleißmindernde Wirkung in der Zerspanung aufweisen. Die Nutzung der HiPIMS-Technologie verringert hier den Horizont keineswegs, da sich viele bekannte Werkstoffgruppen, wie z. B. gängige Aluminium-Titannitrid oder Aluminium-Chromnitrid problemlos von der gängigen Sputter- oder Lichtbogen-Technologie übertragen lassen. Wichtig ist jedoch die Hardware, um Zugang zu der HiPIMS-Technologie zu erhalten, da die meisten Entwicklungsabteilungen anders als manche Forscher nicht die Kapazitäten oder das Wissen haben, einen eigenen Anlagenaufbau zu stemmen. Der hohe Aufwand entsteht vor allem durch das Zusammenspiel von Leistungs- und Gasversorgung, Heizung, Pumpstand und Kathodendesign mit der Anlagensteuerung, die für Anwendungen in der Industrie maximale Flexibilität und Reproduzierbarkeit von Beschichtungsrezepten sicherstellen muss. Große Anlagenhersteller wie Oerlikon Balzers, CemeCon, IHI Hauzer und Kobelco setzen daher schon auf sogenannte „Turn-Key-Lösungen“ für Kunden aus der Industrie, um einen einfachen Einstieg in die Technologie zu ermöglichen. Eine Turn-Key-Lösung beinhaltet die komplette Fertigungskette der Beschichtung ab: Chargierung, Vorbehandlung aus Strahlen und Reinigen, Beschichten und je nach Anwendung auch eine Nachbehandlung der Werkzeuge. Damit Entwickler jedoch auch innerhalb ihrer Organisation überzeugen können, muss die Wirtschaftlichkeit in der Produktion gesichert sein. Gerade die oft von Veröffentlichungen berichteten niedrigen Abscheideraten von HiPIMS sind hier ein großes Thema. Die genannten Anlagenhersteller haben es sich daher auch zum Ziel gesetzt, zumindest die Abscheideraten der konventionellen Sputtertechnologie zu erreichen. Je nach Parametersatz sind jedoch auch Abscheideraten von mehr als 2 µm/h erreichbar, was oberhalb der Abscheideraten von Sputtertechnologien liegt. Somit ist ein wirtschaftlicher Einsatz der HiPIMS-Technologie möglich.
Da in der Zerspanungsindustrie anders als z. B. der Glasindustrie primär auf die sogenannte Batch-Produktion gesetzt wird, ist das Volumen pro Batch, also pro Charge, für die Kalkulation der Produzenten ein entscheidender Faktor. Auch hier gibt es bereits Industrielösungen, die im niedrigen fünfstelligen Bereich Wendeschneidplatten pro Batch und vier bis fünf Batches am Tag abwickeln können. Somit steht HiPIMS in der Wirtschaftlichkeit zwischen den Lichtbogen- und den konventionellen DC-Magnetronsputter-Technologien.
Am Ende der Anforderungskette stehen die Anwender, die Zerspanungswerkzeuge einsetzen und darauf bauen, dass die Performance einen weiteren Sprung macht. Vorliegende Versuchsergebnisse von HORN zeigen, dass Sprünge von mehreren hundert Prozent in der Lebensdauer der Werkzeuge möglich sind. Mit den bei der Paul Horn GmbH entwickelten HiPIMS-Sorten EG35 und IG35 lassen sich moderne Anforderungen von Kunden bedienen: Durch den Einsatz eines Horn-Einstechwerkzeugs vom Typ Mini in 11SMnPb30+C war durch EG35 eine Leistungssteigerung von +300 Prozent möglich. In der Zerspanung von 40CrMoV13-9 mit einem Innenausdrehwerkzeug Typ Supermini konnte die Standmenge durch den Einsatz der EG35-Beschichtung im Vergleich zu einer konventionellen Sputterschicht sogar um das sechsfache gesteigert werden. Die EG35 ist somit ein idealer Schneidstoff mit HiPIMS-Beschichtung für Bearbeitungen in der allgemeinen Stahlzerspanung, während IG35 ideal für den Einsatz in nichtrostenden, austenitischem Stahl ist: Mit der Wendeschneidplatte Typ 312 zum Einstechen in X25CrMnNiN25-9-7 ließen sich die Standzeiten zum Wettbewerb direkt verdoppeln. Ebenfalls verdoppeln ließ sich die Standmenge einer Innenausdrehplatte Typ Supermini 105 in X5CrNi18-10 durch den Einsatz der IG35.
Durch die deutlichen Leistungssteigerungen hat somit auch der Anwender von Zerspanungswerkzeugen einen nennenswerten Vorteil durch den Einsatz der HiPIMS-Technologie: Von der Forschung bis zur Zerspanung eine Erfolgsgeschichte.

INFO
Paul Horn GmbH
In 70 Ländern auf allen Kontinenten produzieren Firmen der Automobilindustrie, Chemie, Luft- und Raumfahrt, Medizintechnik oder im Werkzeug- und Formenbau mit Werkzeugen der Paul Horn GmbH. Neben 25.000 Standardwerkzeugen lieferte das familiengeführte Unternehmen bis jetzt über 150.000 Sonderlösungen an seine Kunden aus. Damit ist der 1969 in Gomaringen im Tübinger Land gegründete Hartmetall-Werkzeughersteller heute technologieführend als Hersteller von Präzisionswerkzeugen für anspruchsvolle Zerspanaufgaben. Horn produziert an der Unternehmenszentrale in Tübingen sowie in England, Italien, Tschechien und den USA. 2019 betrug das Umsatzvolumen in Deutschland 196 Millionen Euro, weltweit rund 300 Millionen Euro. In Deutschland arbeiten 1.000 Mitarbeiter für das Unternehmen, weltweit sind es 1.500. Paul Horn ist in Tübingen der größte industrielle Arbeitgeber und bietet 75 Ausbildungsplätze.
Die Kernkompetenzen des Unternehmens basieren auf vier Pfeilern. Eine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung, die eigene Beschichtungstechnologie, die eigene Hartmetall-Fertigung sowie eigene Fertigungstechnologien. Im Frühjahr 2018 entstand ein eigener Fertigungsbereich Additive Fertigung mit 3D-Druckverfahren (Selective Laser Malting). Auf einer Produktionsfläche von 30.000 Quadratmetern (inklusive Horn Hartstoffe GmbH) stellt Horn hochpräzise Werkzeuge und Zubehör zum Einstechen, Axialstehen, Formeinstechen, Abstechen, Nutstoßen, Glanzdrehen, Gewindedrehen, Bearbeiten von Rohren und Muffen, Nut-, Schlitz, Trennfräsen, Gewindefräsen, Mehrkantschlagen, Gewindewirbeln, Hochglanzfräsen, Ausspinden, Bohren und Reiben her. Die Fertigungsabläufe in den überwiegend neu errichteten Werksgebäuden sind optimiert. So produziert Horn jährlich viele Millionen Schneidplatten in Losen von durchschnittlich 100 Stück mit einem Automatisierungsgrad von bis zu 97 Prozent.

INFO
IFKB, Uni Stuttgart
Das Institut für Fertigungstechnologie keramischer Bauteile (IFKB) an der Universität Stuttgart, seit 1995 unter Leitung von Professor Rainer Gadow, vereint moderne Werkstoffsysteme aus den Bereichen Hochleistungskeramiken, Verbundwerkstoffen und Oberflächentechnik. Die Schwerpunkte liegen in der Entwicklung von Struktur- und Funktionsbauteilen sowie leistungsfähigen Oberflächen und Leichtbaulösungen für Anwendungen in Automotive, Luft- und Raumfahrt, Medizintechnik, Maschinen- und Anlagenbau sowie der Energie- und Kraftwerkstechnik. Das Institut gliedert sich in vier Forschungsbereiche:
Verbundwerkstoffe, Hochleistungskeramiken, Oberflächentechnik und Schichtverbunde, Simulation und Werkstoffmechanik.
Das Institut vertritt das Gebiet der Fertigungstechnologie keramischer Bauteile und Verbundwerkstoffe sowie die Werkstofftechnologie in der Fertigung. Diese Forschungsrichtung stellt einen Brückenschlag von der modernen Werkstoffwissenschaft und Verfahrenstechnik zur Fertigungstechnologie mit neuen Werkstoffen dar.
Die Forschungsarbeiten des Instituts sind darauf ausgerichtet, durch eine materialgerechte Konstruktions- und Fertigungstechnik zu wirtschaftlich effizienten und ökologisch fortschrittlichen neuen Systemen im Maschinen- und Anlagenbau zu gelangen.

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