Prozesse beherrschen: Stechdrehen
Als Paul Horn im Jahr 1972 die Wendeschneidplatte des Typs 312 der Öffentlichkeit vorstellte, war das im Prozess des Stechdrehens eine kleine Revolution. Als erster Hersteller überhaupt entwickelte Horn ein dreischneidiges Werkzeugsystem mit stehender Hartmetall-Wendeschneidplatte für das Stechdrehen. Heute ist der Prozess Stechdrehen mit Wendeschneidplatten in der modernen Fertigung nicht mehr wegzudenken. Radial-Einstechen, Abstechen, Axialstechen und Inneneinstechen mit µ-genauer Präzision gehören heute zum Alltag in der zerspanenden Industrie. Mit dem damaligen Ansporn von Paul Horn zur technischen Perfektion seiner Produkte, setzt das Unternehmen Horn heute weiterhin Standards in der Werkzeugtechnologie für diesen Bearbeitungsprozess.
Bis heute ist die 312er Platte bei Anwendern beliebt. Horn hat dabei nicht aufgehört auch erfolgreiche Produktfamilien stets weiterzuentwickeln und zu optimieren. Parallel dazu hat Horn die Wertschöpfung für sein gesamtes Produktprogramm zu 100 Prozent in die eigene Produktion integriert. Die Einsatzmöglichkeiten des Werkzeugs sind stark gewachsen, nachdem die Platte ursprünglich fast ausschließlich in der Automobilindustrie eingesetzt worden war. Die „312er“ ist für die Außenbearbeitung bestimmt und findet den Einsatz unter anderem bei Werkstücken in der Medizintechnik, bei der Herstellung von Hydraulikkomponenten sowie bei Gegenständen des täglichen Lebens wie Schmuck oder Kugelschreibern. Es ist jedoch nicht nur die Wendeschneidplatte des Typs 312, welche den Präzisionswerkzeughersteller zum Spezialisten für die Bearbeitung zwischen den Flanken bekannt gemacht hat. Zahlreiche andere Werkzeugsysteme folgten der Idee von 1972, welche heute erfolgreich beim Stechdrehen weltweit im Einsatz sind.
Grundsätzlich spricht man beim Stechdreh-Prozess von einer schmalen Schneide, die in radialer oder axialer Richtung ins Werkstück einsticht. Die Kunst beim Stechdrehen ist unter anderem die Kontrolle des Spanflusses. Klemmende Späne, Spänestau oder lange Wirrspäne gilt es in der Praxis zu vermeiden, da sie Prozesssicherheit negativ beeinflussen und zum Bruch des Werkzeugs und zu verkratzten Flanken führen können. Je nach zu bearbeitendem Werkstoff und Bearbeitungsart entwickelte man bei Horn unterschiedliche Spanformgeometrien, die die prozesssichere Spanverjüngung, Spanlenkung und den Spanbruch sicherstellen. Ein weiterer wichtiger Punkt für einen wirtschaftlichen Stechdrehprozess ist die ausreichende Versorgung mit Kühlschmierstoff. Wo früher mit der klassischen Überflutungskühlung von außen gekühlt wurde, sind heute moderne Werkzeugträger, meist mit einer inneren Kühlmittelzufuhr, im Einsatz. Dies stellt die effektive Kühlung der Scherzone zwischen Werkzeugschneide und Werkstück sicher. Für das Abstechen bietet Horn auch eine Schneidplatte des Typs S100, welche mit Hochdruck direkt durch die Schneidplatte die Kontaktzone mit KSS versorgt. Werkzeuge sind beim Stechdrehen hohen Belastungen ausgesetzt. Für einen prozesssicheren und wirtschaftlichen Stechdrehprozess spielen auch die Qualität der eingesetzten Hartmetalle, die Qualität der Schneide und die Beschichtung der Schneidplatte eine entscheidende Rolle.
Aus der Praxis
Einen breiten und tiefen Einstich bei einem Aerospace-Bauteil fertigt ein Anwender über das trochoidale Stechverfahren. Das trochoidale Stechen eignet sich sehr gut für die Herstellung von tiefen und breiten Einstichen, bei denen ein hohes Spanvolumen generiert werden muss. Das Bauteil fertigen die Zerspaner aus 1.4548 (X5CrNiCuNb17-4-4), einem Stahl mit hoher Festigkeit und Zähigkeit. Zum Einsatz beim Schruppen kommt hierbei eine Vollradius-Stechplatte S229 mit einem Radius von 2 mm. Der Stechprozess gestaltet sich wie folgt: Der 30 mm breite und 15 mm tiefe (inkrementell) Einstich wird mit der Vollradius-Wendeschneidplatte mit einer Schnittgeschwindigkeit von vc = 140 m/min bei einer Schnitttiefe von ap = 1 mm trochoidal geschruppt. Der Vorschub ist mit fn = 0,25 mm-1 programmiert. Das Schlichtaufmaß liegt bei 0,2 mm. Beim Schlichten kommt ebenfalls eine Schneidplatte des Systems S229 zum Einsatz. Die Schlichtbearbeitung geschieht von zwei Seiten mit einer 3 mm breiten Stechplatte. Der Eckenradius beträgt 0,2 mm. Die Gesamt-Fertigungszeit des Einstiches liegt bei unter zwei Minuten.
Axialstechen in der Medizintechnik
Für die Fertigung eines dünnwandigen Ventildeckels aus Titan für ein Hirnwasser-Shuntsystem kommt das System Supermini des Typs 105 zum Einsatz. Zum einen setzt der Kunde ein Werkzeug für die Axialeinstiche und zum anderen ein Sonderwerkzeug zum Schlichten der Deckelpassung ein. Für die schmale Passung am Deckel mit einer Länge von 0,5 mm musste Horn das Supermini-Werkzeug mit einem Eckenradius von 0,05 mm auslegen. Die Schwierigkeit stellt sich bei der Bearbeitung von Titan immer in der Abführung der Wärme sowie bei der Kontrolle der Späne. Für den Einsatz als Implantat hat der Anwender strenge Kriterien an die Oberfläche und an die Gratfreiheit des Bauteils. Durch die Optimierung der Verfahrwege durch ein CAM-System konnten die erfahrenen Kollegen der spanenden Fertigung die Standzeit von ursprünglich 1.000 auf nun 2.000 Bauteile verdoppeln.
Obwohl sich das Werkzeugportfolio von Horn stark erweitert hat, nicht nur im Bereich Stechdrehen, sondern für alle Anwendungen im Feld der anspruchsvollen Zerspanaufgaben, gilt das Stechdrehen und somit die Bearbeitung zwischen zwei Flanken weiterhin als Königsdisziplin.