Die größte Bohrstange der Welt
Mit der Entwicklung der größten Bohrstange der Welt hat Sandvik Coromant Geschichte als Innovator in der Zerspanungstechnik geschrieben. Mit einer Länge von fast 11 Metern und einem Durchmesser von 600 Millimetern wurde dieser technische Gigant speziell für die Bearbeitungsanforderungen des finnischen Schwermaschinenbauers Konepaja Häkkinen Oy entwickelt. Das gigantische Drehwerkzeug wird zur Herstellung von Präzisionsbauteilen für eine Vielzahl von Branchen eingesetzt, darunter die Offshore-Öl- und Gasindustrie, die Stromübertragungstechnik und der Bereich der erneuerbaren Energien.
Als sich Konepaja Häkkinen Oy bzw. die Tochtergesellschaft Rautpohjan Konepaja Oy in Jyväskylä an Sandvik Coromant wandte, hatte man eine ungewöhnliche Anfrage. Benötigt wurde ein Werkzeug für die Bearbeitung eines bestimmten Werkstücktyps mit speziellen Abmessungen. Obwohl die Art des Werkstücks aufgrund von Geheimhaltungsvereinbarungen nicht näher spezifiziert werden konnte, war es mit einer Länge von 12 Metern und einem Durchmesser von 800 Millimetern außergewöhnlich groß und musste von beiden Seiten bearbeitet werden.
Das benötigte Werkzeug war eine Bohrstange, die bei der spanenden Bearbeitung eingesetzt wird, um den Durchmesser einer bereits im Werkstück vorhandenen Bohrung zu vergrößern und zu verfeinern. Bohrungen, die mit einer Bohrstange hergestellt werden, sind präziser, genauer und glatter als Bohrungen, die durch Bohren hergestellt werden und rauer sein können.
Der Durchmesser und die Länge der Bohrstange werden jedoch durch die Abmessungen des Werkstücks bestimmt. Es wird empfohlen, den für die Anwendung größtmöglichen Bohrstangendurchmesser zu wählen, um die bestmögliche Stabilität zu erreichen. In diesem Fall erforderte die Anwendung eine Bohrstange mit noch nie dagewesenen Abmessungen. Diese Größe war erforderlich, um tiefe und präzise Innendrehbearbeitungen durchführen zu können, die mit einer Bohrstange in Standardgröße nicht möglich gewesen wären.
Vibrationen reduzieren
Rautpohjan Konepaja Oy wandte sich an seinen Partner ŠMT – ehemals Skoda Machine Tool – mit Sitz in der Tschechischen Republik, einem der weltweit führenden Hersteller von hochpräzisen horizontalen Bohr- und Fräsmaschinen, horizontalen Drehmaschinen und vielem mehr. Es war klar, dass ŠMT einen Werkzeugspezialisten brauchte, der in der Lage war, eine Bohrstange mit den außergewöhnlichen Abmessungen zu liefern, die für dieses einzigartige Projekt erforderlich waren. Aus diesem Grund kontaktierte ŠMT Sandvik Coromant Tschechien mit der Frage, ob das Unternehmen bei der Entwicklung der gigantischen Bohrstange unterstützen könne.
„Sandvik Coromant ist ein bekannter Hersteller von Bohrstangen, insbesondere von solchen mit schwingungsdämpfenden Eigenschaften“, führt Vaclav Faber, Projektingenieur bei Sandvik Coromant Tschechien, aus. „Die Reduzierung von Vibrationen in einer Bohrstange ist entscheidend für die Präzision und Oberflächengüte des Bearbeitungsprozesses.“
Übermäßige Vibrationen können zu Ungenauigkeiten, Werkzeugverschleiß und Beeinträchtigung der Werkstückintegrität führen – ein Problem angesichts des hohen Bearbeitungsvolumens im Werk Jyväskylä. Durch die Minimierung von Vibrationen gewährleistet die Bohrstange stabile und kontrollierte Schnittbedingungen, was zu höherer Produktivität, längerer Werkzeugstandzeit und besserer Oberflächenqualität führt.
ŠMT hatte aber noch weitere anspruchsvolle Anforderungen an die Bohrstange: Der Kunde Rautpohjan Konepaja Oy benötigte ein Werkzeug, das sich nahtlos in den vorhandenen Maschinenpark einfügt und gleichzeitig die Grenzen der Drehbearbeitung erweitert. Und natürlich musste die neue Bohrstange auch für den Einsatz in der riesigen Drehmaschine von ŠMT geeignet sein.
Hier kam Sandvik Teeness im norwegischen Trondheim ins Spiel. Das Unternehmen wurde ausgewählt, weil es bereits seit den 1960er Jahren führend in der Entwicklung und Herstellung von schwingungsgedämpften Werkzeugen ist.
Die Herausforderungen
Die Bohrstange besteht aus Stahl und enthält ein Bauteil aus Schwermetall, das als „Dämpfer“ bezeichnet wird. Ein Dämpfer ist eine Vorrichtung zur Reduzierung oder Absorption von Schwingungen, die selten in Maschinen oder Anlagen zu finden ist und in spezielle Gummiringe eingespannt wird.
Ein weiteres wichtiges Merkmal der Bohrstange ist der Coromant Capto® Werkzeughalter, der an der Stirnseite der Bohrstange montiert ist und die für die Bearbeitung des Werkstücks erforderlichen Wendeschneidplatten aufnimmt. Coromant Capto wurde entwickelt, um Rüst- und Werkzeugwechselzeiten zu verkürzen, die Maschinenauslastung deutlich zu erhöhen und eine stabile und zuverlässige Bearbeitung zu unterstützen.
„Der Werkzeughalter hat sich vor allem bei Multi-Task-Maschinen bewährt“, sagt Vaclav Faber. „Er ermöglicht die Montage von Werkzeugen mit unterschiedlichen Längen und Konstruktionsmerkmalen unabhängig von der Maschinenschnittstelle. Coromant Capto erfüllt auch die Anforderungen von Rautpohjan Konepaja Oy an eine Bohrstange, die in einer Vielzahl von Maschinenkonfigurationen eingesetzt werden kann.“
Umfangreiche Tests
Die Spezialisten von Sandvik Teeness führten vor Ort umfangreiche Frequenzmessungen durch, um die Wirksamkeit des in die Bohrstange integrierten Dämpfungsadapters zu beurteilen. Die Bohrstange wurde in eine große CNC-Drehmaschine eingebaut und mehrfach in drei Anwendungen – Schruppen, Schlichten und Profildrehen – mit jeweils unterschiedlichen Schnittdaten getestet.
Das Werkzeug wurde mit einer maximal zulässigen Auskraglänge des 10-fachen Durchmessers (10xD) betrieben, was empfohlen wird, um Vibrationen zu minimieren und die bestmögliche Stabilität und Genauigkeit zu erzielen. Silent Tools Bohrstangen von Sandvik Coromant, die ihren Namen aufgrund der minimalen Vibrationen erhalten haben, werden in der Regel bei großen Auskraglängen eingesetzt, bei denen eine starre Einspannung sehr wichtig ist. Zylindrische Bohrstangen sollten immer in geteilten Spannaufnahmen mit einer Einspannlänge von mindestens dem Vierfachen des Stangendurchmessers gespannt werden.
Die Schnittdaten basierten auf anfänglichen Empfehlungen, die von der CoroPlus® Tool Guide Softwareplattform generiert und während der Tests modifiziert wurden. Für die Schruppanwendung wurde die Bohrstange mit einer Schnittgeschwindigkeit (vc) von 100 m/min und einem Vorschub (fn) von 0,4 mm/Umdrehung betrieben. Die Belastung der Bohrstange hängt hauptsächlich von der Schnitttiefe (ap), dem Vorschub (fn) und dem Werkstückmaterial ab. Daher ist es wichtig, dass ap und fn ausreichend sind, um Vibrationen während der Bearbeitung zu vermeiden. Bei zu großen Werten von ap und fn kann es zu Vibrationen aufgrund der Werkzeugauslenkung kommen.
Zu Testzwecken wurde daher der ap-Wert angepasst. Die Bohrstange zeigte bei einem ap von 5,6 mm Vibrationen und bei 4,5 mm eine eingeschränkte Leistung, schließlich wurde 3,5 mm als empfehlenswerte Schnitttiefe ermittelt. Beim Schlichten und auch beim Profildrehen wurde die Stange mit einer vc von 110 m/min und einer ap von 0,5 mm gefahren. Die fn wurde angepasst, wobei sich 0,25 mm/U als optimaler Wert herausstellte, was zu einem durchschnittlichen Rauheitswert (Ra) von 3,4 führte.
„Anhand der Testergebnisse konnten die Experten von Sandvik Coromant ŠMT Schnittdatenparameter und Wendeschneidplatten empfehlen“, so Vaclav Faber. „Mit dem Produktionsteam von Sandvik Teeness gab es regelmäßige Besprechungen über die Lieferzeit der Bohrstangen und alle Details zu Handling, Transport und Logistik“, ergänzt Jaroslav Šuga, Global Account Manager bei Sandvik Slovakia. „Dank der Zusammenarbeit zwischen den Konstrukteuren und Technikern von ŠMT, dem Produktionsteam von Sandvik Teeness in Norwegen und allen am Verkaufsprozess Beteiligten war dieser große Erfolg möglich.“
Weitere Investitionen
Sandvik Coromant hat eine Bohrstange entwickelt, die nicht nur wegen ihrer Größe bemerkenswert ist, sondern für Konepaja Häkkinen Oy am Standort Jyväskylä von großem Vorteil ist, da sie nun in der Fertigung zur Präzisionsbearbeitung von Komponenten für verschiedene Branchen eingesetzt wird. ŠMT ist von den Ergebnissen beeindruckt und plant die Investition in weitere, wenn auch etwas kleinere Bohrstangen von Sandvik Coromant für die Bearbeitung etwas kleinerer Komponenten. „Die größte Bohrstange der Welt ist ein Beweis für das unermüdliche Engagement von Sandvik Coromant für Innovation, Präzision und Zerspanungsanwendungen“, betont Vaclav Faber.