Kleine Schnecke – großes Potenzial
Getriebe für E-Fahrzeuge sind nicht nur auf hohe Drehzahlen und Drehmomente ausgelegt; sie sind auch sehr kompakt. Das gilt für den Automotive-Sektor, vor allem aber für neuartige Anwendungen, wie E-Bikes. Die kleinen Getriebe mit hoher Leistungsdichte und elektrischen Antrieben motivieren Konstrukteure zu kreativen Lösungen. Häufig enthalten sie kleine und störkonturbehaftete Komponenten, die die Fertigung vor neue Herausforderungen stellen. Bei der Hartfeinbearbeitung dieser Verzahnungen gehen mit den verfahrensbedingten Möglichkeiten hohe Fertigungskosten einher. Die wohl wirtschaftlichste Variante stellt das Wälzschleifen dar. Allerdings eignen sich nicht alle Wälzschleifmaschinen für die Fertigung der kompakten Bauteile. Dieser Artikel beschreibt die Anforderungen und zeigt Lösungen auf.
Man muss die Getriebefertigung für die E-Mobilität nicht neu erfinden, aber einige neue Herausforderungen gibt es doch. Dazu gehören vor allem die hohe Leistungsdichte und der kompakte Bauraum, in dem der gesamte Antriebsstrang Platz finden muss. Mit den neuen Anwendungen entstehen neue Absatzchancen: E-Bikes sind voll im Trend. Sie vergrößern Reichweite und Transportkapazitäten im Alltag und der Freizeit signifikant. Entsprechend hoch ist die Nachfrage. Davon profitieren die Hersteller und deren Zulieferer, unter anderem auch die Getriebehersteller. Ob zwei oder vier Räder: Die Antriebe sind technologisch anspruchsvoll. Im Fokus stehen dabei die geforderten Flankentragfähigkeiten und das Geräuschverhalten der Verzahnungen aufgrund der Randbedingungen des elektrischen Antriebsmotors – ein nahezu konstant hohes Drehmoment über den Drehzahlbereich von 0-18.000 U/min. Neue Anforderungen beschränken sich jedoch nicht nur auf die fertigen Teile, auch der Herstellungsprozess selbst ist betroffen: Durch die kompakte Bauweise tauchen im Getriebedesign vermehrt Bauteile mit störkonturbehafteten Verzahnungen auf. Große Werkzeuge, mit den gängigen Schleifschneckendimensionen stoßen hier rasch im wahrsten Sinne des Wortes an ihre Grenzen. Will man nicht auf zeitintensivere und damit kostspieligere Verfahren ausweichen, muss man auch die Werkzeuge miniaturisieren.
Grenzen erkennen und überwinden
Bisher wurde die Hartfeinbearbeitung von Zahnrädern mit Störkonturen hauptsächlich durch diskontinuierliches Profilschleifen oder Verzahnungshonen realisiert.
Im Vergleich zum kontinuierlichen Wälzschleifen haben beide Prozesse unterschiedliche Nachteile in Bezug auf Produktivität, Wirtschaftlichkeit oder Qualitätskonstanz. Das Problem ist, dass die gängigen Wälzschnecken mit Durchmessern von 300 mm zu groß für Bauteile mit Störkonturen sind. Kleinere Werkzeuge erfordern höhere Drehzahlen, um hohe Schnittgeschwindigkeiten zu realisieren. Bisherige Maschinenkonzepte waren jedoch nicht auf die hohen dynamischen Anforderungen für Werkzeug- und Werkstückantrieb ausgelegt. Abhilfe schaffen neuartige Hochgeschwindigkeitsspindeln in Kombination mit einem dynamischen Direktantrieb der Werkstückachse. Damit lassen sich die Vorteile des Wälzschleifens mit kurzen Bearbeitungszeiten, niedrigen Werkzeugkosten und sehr hoher Qualitätskonstanz nutzen. Anhand zweier ausgewählter Bauteile „Car“ und „Bike“ (Abbildungen 1 und 2) lässt sich die Wirtschaftlichkeit des Wälzschleifens im Vergleich zum Profilschleifen aufzeigen. Die zugehörigen Tabellen („Car“ und „Bike“) veranschaulichen die Zeit- und Kostenvorteile.
Die passenden Maschinen
Der Coburger Verzahnungsspezialist Kapp Niles bietet für diese Kundenanforderungen zwei Maschinentypen an. Beide Baureihen sind mit hochdynamischem Werkzeug- (25.000 U/min) und Werkstückantrieb (5.000 U/min) ausgestattet.
Die KNG 350 flex HS verfügt über einen konventionellen Aufbau mit einem Werkstückantrieb. Sie ist in zwei Ausführungen erhältlich: für kleinste und kleine Losgrößen mit Handbeladung. Für höhere Stückzahlen steht eine automatisierte Variante mit schnellem Ringlader zur Verfügung. Bearbeitet werden auf dieser Maschine Werkstücke bis Durchmesser 350 mm. Sie zeichnet sich durch kurze Rüstzeiten aus, die durch intelligente Komponenten und einzigartige Ergonomie erreicht werden.
Für die Großserienfertigung lohnt es sich dann aber, die konzeptionellen Nebenzeiten der Maschine näher zu betrachten. Die KX TWIN-Baureihe mit zwei Werkstückantrieben und hauptzeitparallelem Be- und Entladevorgang bietet hier weiteres Potenzial zur Bodenzeitreduzierung. Das zeitneutrale Schleudern der Bauteile direkt in der Maschine ermöglicht die Einhaltung von „Clean Factory“-Anforderungen mit allen bekannten Automationskonzepten.
Weitere Anforderungen an die Fertigung
Neben den kompakten Bauteilen mit Störkonturen bringen E-Getriebe noch weitere Anforderungen an die Fertigung mit sich:
▪ Das Geräuschverhalten des Getriebes und damit speziell der Verzahnungen gewinnt immer mehr an Bedeutung.
▪ Mit der Weiterentwicklung von Verzahnungen hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit rückt die Topologie der Zahnflanke zunehmend in den Fokus. Beim Wälzschleifprozess entsteht eine natürliche Verschränkung an den bearbeiteten Zahnflanken. Mit der innovativen Software KN grind lässt sich dieses Phänomen heute vorab simulieren, komplett eliminieren oder auch gezielt beeinflussen.
▪ Ein weiterer Punkt ist die Oberflächenrauheit. Mit einem Standardwerkzeug lassen sich beim kontinuierlichen Wälzschleifen Werte einer gemittelten Rautiefe Rz = 2,5-3 µm sicher erreichen. Für höhere Anforderungen bietet Kapp Niles Kombi-Werkzeuge an, die zwei unterschiedliche Bereiche aufweisen: einer mit Standardkörnung und ein weiterer zum Feinschleifen oder Polieren, je nach Oberflächenanforderungen. Damit sind auch Rauheitswerte von Rz < 1 µm möglich. Der damit signifikant erhöhte Traganteil der Zahnflanken steigert die maximale Belastbarkeit des Zahnrads. Ein weiterer Vorteil dieses Verfahrens ist, dass es sich in automatisierte Prozessketten mit „One-piece-flow“ integrieren lässt, was mit dem bisher eingesetzten Gleitschleifen nicht zu realisieren war.
Fazit
Die Fertigung von E-Getrieben erfordert Know-How und Lösungen, die über den technischen Stand von Verbrenner-Getrieben liegen. Daraus erwachsen aber auch große Chancen für Hersteller, welche die neuesten Fertigungsmethoden beherrschen. Das Wälzschleifen mit kleinen Werkzeugen ist ein Baustein. Kapp Niles bietet heute ein breites Spektrum von Lösungen weit über den klassischen Werkzeugmaschinenbau hinaus an. Prozessmonitoring, Teilerückverfolgung und Inline-Qualitätssicherung werden zunehmend integraler Bestandteil moderner Fertigungssysteme. Damit können sich auch Hersteller an Hochlohnstandorten im internationalen Wettbewerb behaupten. Gerade in Zeiten, in denen der Wirtschaft die Anfälligkeit einer globalisierten Fertigung schmerzhaft bewusstwurde, ist dies eine Riesenchance, dem Kostendruck zu begegnen.
Autor:
Dipl.-Phys. Martin Witzsch, freier Journalist im Auftrag von KAPP NILES
Ralf Dremel, Technischer Produktverantwortlicher bei KAPP NILES